Angst frißt Seele

 

Mitschnitt eines Onlinechats. Thema: Angst und Werbung
 

Operator: Macht Euch Werbung Angst?
 
Gerd: Nein, natürlich nicht! Was soll der Quatsch?
 
Claire: Was für eine Frage!
 
Operator: Und was ist damit: Ich habe Angst vor Körpergeruch, meine Freunde würden mich ausgrenzen. Ich habe Angst vor dummen Kommentaren, wenn ich keine Markenjeans trage. Ich habe Angst, wegen meiner Figur im Schwimmbad ausgelacht zu werden ...
 
Na klingelts? Das kennt doch wohl jeder von Euch, oder?
 
Gerd: Ja, okay. Nicht, dass ich Körpergeruch habe, aber die Gedanken kommen mir bekannt vor.
 
Operator: Und genau diese Ängste – vor ungewünschter Andersartigkeit, Ausgrenzung, Auffälligkeit – werden in der Werbung angesprochen. Diese und noch viele mehr. Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor einem Unfall, vor dem Tod (denkt nur mal an die Versicherungen), Angst vor dem Versagen, Prüfungsangst ...


Beim Betrachter werden Gefühle geweckt, die mit Hilfe der Kognition bewertet werden. So kann sich die angesprochene Zielgruppe mit dem Angstgefühl bzw. der dargestellten Situation identifizieren.
 
Claire: Okay, verstehe. Und man wird dann durch das „rettende“ Produkt angeregt, in den nächsten Laden zu gehen und es sich zu kaufen, um somit zukünftig die Angstsituationen zu vermeiden.
 
Operator: Klar, im Endeffekt geht es ums Verkaufen.
 
Gerd: Und woher weiß der Hersteller, mit welchen Ängsten sich potentielle Konsumenten identifizieren? Beispielsweise aktiviert Mr. Proper mich gar nicht.
 
Operator: Guter Hinweis! Grundsätzlich ist das die zentrale Frage der psychologischen Marktforschung. Die untersucht, welche Motive wir besitzen und worauf wir anspringen.
 
Gerd: Der gläserne Konsument also? Ist ja unheimlich.

 

Operator: Vielleicht .... Angst ist übrigens ideal, um uns zu aktivieren und unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Denn generell kennt jeder Mensch Angst, da sie zu den primären Emotionen, also zur Grundausstattung, gehört.
 
Gerd: Aber jeder ist trotzdem doch anders, oder? Ich meine, mehr oder weniger ängstlich.
 
Operator: Ja, das macht die Sache so schwierig, aber auch interessant. Psychologische Marktforschung ist ein sehr komplexes Thema, genau wie der Mensch.
 
Claire: Ist aber doch erstaunlich, dass immer wieder etwas gefunden wird, auf das wir anspringen, obwohl wir die Sachen vorher noch nie vermisst haben.
 
Operator: Das stimmt. Es werden Wünsche und Träume (meist aus dem Unterbewussten) geweckt und künstliche Bedürfnisse geschaffen und somit Nachfrage geweckt.
 
Gerd: Und was bedeutet das für unser Beispiel Angst in der Werbung?
 
Operator: Man könnte vielleicht behaupten, dass man die Fähigkeit der Menschen, Angst zu empfinden, nutzt, um mit Hilfe der Werbung neue Ängste zu schaffen.
 
Claire: Aber die Angst muss doch auf irgendwas basieren, wenn ich dadurch aktiviert werde. Da muss ich drüber nachdenken. Ich werde mir jetzt Werbung mal genauer betrachten....
 
Operator: Mach das. Bin gespannt auf Deine Entdeckungen....
Muss jetzt Schluss machen.

 

 

 

Edwin E. Braatz | Texte, die verkaufen